Die Geschichte des Val Aupa

Die Geschichte des Val Aupa lässt sich bis ins Römische Reich zurückverfolgen und unterstützt dabei die Entwicklungen in der jüngeren Zeit zu verstehen. 

Römisches Reich

Bereits im Römischen Reich spielte das Val Aupa aufgrund seiner günstigen Lage eine nicht zu unterschätzende Rolle. Geographisch betrachtet war das Aupatal durch seine Lage als Tor nach Italien besonders interessant für das römische Reich, um die Alpenregion besser kontrollieren zu können. Wichtige Handelsstraßen erleichterten den Zugang beispielsweise zu den Ostalpen (Schmidt 2019: 71, Faleschini 2018: 227). Archäologische Funde in und um Moggio Udinese zeugen von einem Aufenthalt der Römer im Aupa Tal. Zu den Fundstücken zählen beispielsweise Münzen oder Öllampen (Faleschini 2018: 260). 

Das Römische Reich um 117 n.Chr. (MHKBG NRW: 2022)

Mittelalter und Neuzeit

Während des Mittelalters kam der Region Friaul-Julisch Venetien und damit auch dem Val Aupa aufgrund des kirchlichen Einflusses Bedeutung zu. Im Jahr 1085 schenkte ein Graf dem Patriarchen Federico II das Aupa Tal mit dem Auftrag, dort eine Abtei zu errichten (Österreichische Forst- und Jagdzeitung 1920: 7). Bereits in dieser Zeit siedelten sich zahlreiche Hirten und Bauern im Tal an. Der Ort Moggio spielte dabei eine besonders wichtige Rolle, da dort im Jahr 1119 ein Benediktinerkloster errichtet wurde, das im 14. Jahrhundert geistliche und weltliche Macht über 146 Ländereien ausübte (Pilgram et al. 2008: 120). In Kürze entwickelte sich die Abtei zu einem reichen und mächtigen Lehen, wobei zahlreiche Auseinandersetzungen dazu führten, dass der Einfluss der Abtei sukzessive schwindete (Corbanese 1984: 241). Im Jahr 1420 fiel der Patriarchenstaat an die Republik Venedig (Steinicke 1991: 21), woraufhin die Abtei von Moggio jegliche Bedeutung verlor (Corbanese 1984: 241).
Zum Ende des Mittelalters kam den Habsburgern schließlich mehr und mehr Bedeutung zu. (oder: Zum Ende des Mittelalters erlangten die Habsburger eine zunehmende Bedeutung.) Vom 14. bis 16. Jahrhundert war die Region von Konflikten zwischen Herrschern über Grenzverläufe geprägt.

Die Habsburger Monarchie war ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter anderem daran beteiligt, technische Neuerungen in das Gebiet des Friaul zu bringen. Die im 19. Jahrhundert eröffnete Südbahn, „eine der wichtigsten Bahnstrecken des Reiches“ (Sauerbrey 2020: 195), verlief von Wien nach Triest und schaffte neben der Verfügbarkeit von Gütern auch Zugang zu Wissen in die Region. Dadurch entstanden entlang der Bahnstrecke Arbeitsplätze, was zu einem Bevölkerungszuwachs führte (Sauerbrey 2020: 197).

Erster Weltkrieg

Im Ersten Weltkrieg verlief die Frontlinie quer durch die Region Friaul-Julisch Venetien und damit auch durch das Val Aupa (Fohrer 2016: 29). Eine besondere Rolle kam dabei der Siedlungsgruppe der Bevorchians zu, da das Gebirgsjägerbataillon des Val Tanaro mit der “201a compagnia distaccata” unter anderem auch dort stationiert war. Anfang Januar 1916 hielt sich das Bataillon zudem auch in Moggio auf (Tutto Storia.net: 2014). Zwischen 1915 und 1917 fanden östlich und westlich des Soča Flusses im heutigen Slowenien mehrere Schlachten statt, bei denen viele Soldaten ihr Leben verloren (Fohrer 2016: 29). Im Herbst 1918 schloss Österreich mit Italien einen Waffenstillstandsvertrag, dessen Unterzeichnung das Kriegsende zwischen den beiden Ländern markiert (Fohrer 2016: 29). Istrien, Teile Dalmatiens und das Val Canale wurden daraufhin Teil des Friauls (Fohrer 2016: 29).

Zweiter Weltkrieg

Während des Zweiten Weltkriegs wurden deutschsprachige Bewohner in den Tälern des Friaul entweder eingebürgert oder zur Abwanderung gedrängt, wodurch Täler wie das Val Canale deutlich an Einwohnern verlohr (Fohrer 2016:  30). Da der Anteil an deutschsprachigen Einwohner im Val Aupa recht gering war, spielte dieser Aspekt jedoch  nicht maßgeblich zum Bevölkerungsverlust im untersuchten Tal bei (Steinicke 1991: 87). Nach dem Zweiten Weltkrieg migrierten viele Italiener, auch aus der Region Friaul-Julisch Venetien, nach Deutschland, da während der Nachkriegszeit vor allem im landwirtschaftlichen Bereich ein Arbeitskräftemangel herrschte. Durch ein Abkommen vom 20. Dezember 1955 sollte dieser Mangel mit Hilfe von Arbeitsmigration aus dem Ausland, allen voran Italien, behoben werden. 1956 befanden sich bereits 8.000 italienische Arbeiter in Deutschland (Machini-Warnecke 2020: 83f).

Der sozioökonomische Strukturwandel

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts war in den Alpen ein sozioökonomischer Strukturwandel zu beobachten. Während zuvor in weiten Teilen kleinteilige, auf Subsistenz ausgerichtete Berglandwirtschaft betrieben wurde, geriet der periphere, ökologisch benachteiligte Agrarraum in die Krise. Heute sind  besonders die Nordalpen, Talräume und hochgelegene Zentren weitesgehend touristisch entwickelt. In den Südalpen hingegen sind Periphergebiete durch Abwanderung geprägt (Bender & Haller 2020: 284).

Die Wiesen-Alpwirtschaft stellte sich im Laufe des Strukturwandels als besonders benachteiligt heraus. Die Berglandwirtschaft im Val Aupa war, wie weite Gebiete der Südalpen und die inneralpinen Trockenzonen, durch die Produktion von Heu für die Tierhaltung geprägt. Schafe und Ziegen sind für  die Bergregionen besonders gut geeignet, da sie gebirgsgängig und an karge Vegetation angepasst sind. Rinder wurden im Val Aupa vor allem nahe der Ortschaften gehalten. Die Berghänge wurden gerodet und durch die regelmäßige Ernte frei gehalten. Das erwirtschafte Heu wurde genutzt um die Tiere im Winter zu füttern, das Tal, Senken und die wenigen ebenen Flächen wurden für den Gemüseanbau genutzt (Bätzing 2018: 76f). 

Obwohl die Südalpen klimatisch für die Landwirtschaft begünstigt sind, stellte besonders die Realteilung ein Hindernis für Modernisierung dar.  Die italienischen Alpen wiesen um 1990 zwar etwa die Hälfte aller landwirtschaftliche Betriebe auf, die zersplitterten Landparzellen und die ungünstige Kleinbetrieb-Struktur verhinderte jedoch die Umstrukturierung zu rentablen Bergbetriebsformen. Mit einem Generationenwechsel ging daraufhin ein massives Höfersterben einher. Der Wandel ist im Landschaftsbild zu beobachten, wo einst die Heuwirtschaft die Landschaft prägte, kehr zunehmend der Wald zurück (Bender & Haller: 285).

Der Strukturwandel brachte eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur mit sich (Bender & Haller 2020: 284). Orte, die nicht durch Modernisierung erreicht wurden, erfuhren zunächst eine klassische Abwanderungswelle der jungen Bevölkerung. Auf Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen verlassen junge Erwachsene die peripheren Gebiete. Dadurch werden jedoch weniger Kinder geboren, sodass der Alterdurchschnitt permanent ansteigt. Schließlich wohnen vor allem noch ältere Menschen in den Dörfern, die nach und nach weniger werden, bis nur noch ein bis zwei Personen in einem Ort leben (Bätzing 2018: 174). Diese Entwicklung ist in vielen der Dörfer des Val Aupa zu beobachten. So sind einige Dörfer wie Mogessa di Là und Stavoli schließlich vollends entsiedelt, in Dörfern wie Gallizis leben heute nur noch drei alte Menschen dauerhaft Vorort.

Das Erdbeben im Friaul zerstörte viele Häuser
Das Erdbeben hat enorme Schäden angerichtet (Stol.it 2021)

Erdbeben 1976

Im Jahr 1976 wurde das Friaul von einem verheerenden Erdbeben aufgesucht. Meist wird hier nur von einem Erdbeben gesprochen, tatsächlich wurde die Region 1976 aber von über 800 Beben erschüttert, die durch die langsame Nord-Bewegung der Afrikanischen Platte und dem daraus entstandenen Druck auf die Eurasischen Platte hervorgerufen wurden. Sie gelten als  „die schwersten Beben der jüngeren Erdbebengeschichte Europas“ (Grün 2014: 117).  Besonders verheerend waren die Beben im Mai und im September, heute werden sie auch als Friaul I und Friaul II bezeichnet (Grün 2014:  117f). Mit einer Stärke von 6,4 auf der Richterskala (Grün 2014:  118f) wurden weiträumige Gebiete des Friauls beschädigt oder zerstört. Das Val Aupa lag dabei in dem am stärksten betroffenen und zerstörten Gebiet (Steinicke 1991: 18f). Nach den ersten großen Beben kam es noch zu über hundert Nachbeben, welche weitere Opfer forderten (Grün 2014: 118f). Die größten Schäden aus Friaul I entstanden an Gebäuden und Infrastruktur, die 100 Jahre oder älter waren. Die zerstörte Eisenbahnstrecke zwischen Tarvis und Udine gestaltete die Versorgung der betroffenen Dörfer schwieriger. Häuser mit einer moderneren Bauweise mit Betonböden wurden nicht so stark beschädigt (Grün 2014:  119f).
Um den Betroffenen schnellstmöglich Unterkünfte zu bieten, wurden vielerorts Zelte aufgestellt und der Wille die Häuser wieder aufzubauen war groß. Nach dem Beben im Mai war kaum verstärkt von Emigration oder Abwanderung die Rede (Grün 2014: 120). Dies änderte sich mit dem Erdbeben Friaul II am 15. September 1976, das die Zahl der Obdachlosen noch einmal erheblich in die Höhe trieb. Das Beben kann entweder als zweites Hauptbeben, oder als Nachbeben zum 6. Mai betrachtet werden. Betroffen waren dieselben Ortschaften wie bei Friaul I. Es hatte eine Stärke von 6,1 auf der Richterskala und ging mit schlagartigen Regenfällen einher. Nach dieser weiteren Katastrophe begann eine schlagartige Migration und Flucht in Richtung Adriaküste. 1977 kam es zu weiteren Nachbeben, die eine weitere Fluchtwelle auslösten (Grün 2014: 120f).

In Folge der Katastrophe gab es das „Programm zur Errichtung von 21.000 Fertigteilhäusern (Prefabbricati)“ (Grün 2014: 126), welche 65.000 Menschen wieder ein Dach über dem Kopf gaben. Hier lebten auch zwei Jahre nach Friaul I noch 48.500 Menschen. Der Wiederaufbau der tatsächlichen Wohnhäuser und der Aufbau des dauerhaften Wohnraums ging deutlich langsamer voran als ursprünglich geplant, da der Fokus auf diese Übergangslösungen gelegt wurde (Grün 2014: 126). Erst im Jahr 1977 konnten wieder alle Anwohner in die Dörfer zurückkehren und mit dem tatsächlichen Wiederaufbau und -belebung der Orte und der regionalen Wirtschaft beginnen (Steinicke 1991: 19).

Die Erdbeben sind noch immer in den Köpfen der Bewohner präsent, mit denen im August 2021 im Rahmen der Exkursion gesprochen wurde. Eine Bewohnerin aus Chiaranda berichtete beispielsweise, dass der Wiederaufbau nur langsam voran ging und sie lange mit ihren kleinen Kindern in Zelten leben musste. In Folge des Erdbebens wurde der Entvölkerungs-prozess beschleunigt, der im Friaul in den 1950er Jahren eingesetzt hatte. Noch heute sind in den Dörfern des Val Aupa die Auswirkungen der Erdbebenkatastrophe spür- und sichtbar. Infolge der Erdbeben kam es durch die Veränderung der Siedlungsstruktur sowie durch wirtschaftliche Impulse im Gebiet des Friaul auch zu einer Veränderung der Identität (Steinicke 1991: 81). 

Nach dem Erdbeben begann der Wiederaufbau mit Verzögerung.
Der Wiederaufbau war beschwerlich. Viele Ruinen zeugen von dem Erdbeben.

Jüngere Geschichte

Beschäftigt man sich mit aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Wandel im Val Aupa, so ist eine Tendenz erkennbar. Stichwörter wie “Amenity Migration” oder “Multilokalität” fallen besonders häufig. Das Val Aupa erlebt mittlerweile nicht mehr wie viele andere Bergdörfer Italiens einen Bevölkerungsverlust, sondern im Gegenteil sogar einen Zuwachs. So sind etwa in Dordolla (Stand 2015) 18 Gebäude von dauerhaften Bewohnern genutzt und 17 von Newcomern, die dort das ganze Jahr leben. Auch gibt es im Tal wieder mehr Kinder und die Dörfer wirken im Allgemeinen belebter (Löffler et al. 2016: 489). Das Val Aupa hat in den letzten Jahren viel Interesse erfahren, unter anderem durch den preisgekrönten Film „The New Wild“. Der Wunsch nach einem naturverbundenen Leben mit mehr Annehmlichkeiten (amenities), wie dem milden Klima des Tales, der Ruhe und der schönen und wilden Landschaft bringen die Menschen in diese Region. Ein weiterer Push-Faktor für Städter ist der Wunsch, dem hektischen Leben und der Enge der Stadt zu entfliehen. Mit jedem neuen Anwohner bekommt das Tal die Möglichkeit seine Infrastruktur auszubauen und vom Verfall bedrohte Gebäude zu retten (Löffler et al. 2016: 489f). Dazu kommt die Arbeit von Kaspar Nickles und seiner Frau Marina Tolazzi, die mit Agritourismus und der daraus entstehenden Medienpräsenz dazu beitragen, mehr Aufmerksamkeit zu generieren.
Im Rahmen der Feldforschung im August 2021 wurden Gespräche mit multilokal lebenden Menschen zu deren Beweggründen und Perspektiven zu dieser Lebensweise geführt. Ebenso wurden dauerhafte Bewohner nach deren Einschätzung zur Entwicklung der Dörfer in den letzten Jahren befragt. Weitere Informationen zum Thema kann im Abschnitt Multilokalität gefunden werden.