Revitalisierung

Aktuelle Veränderungen

War lange Zeit eine reine Abwanderungstendenz und darauffolgend eine Stagnation im Val Aupa zu erkennen, so sind in den letzten Jahren durchaus positive Tendenzen feststellbar. Nicht nur der zentrale Ort Dordolla hat mit seinem neu renovierten Asilo neue Impulse gesetzt. Auch einige sehr engagierte neue und „alte“ Bewohner einzelner Dörfer haben einige Neuerungen mit viel Engagement in die Wege geleitet. So gibt es seit 2019 die kleine Bar in Moggessa di Là, und im August 2021 wurde dort sogar ein kleines Bed & Breakfast eröffnet. Auch für Künstler scheint die Gegend attraktiv zu sein. So gibt es etwa in Drentus das fast schon berühmte Karottenhaus, in Moggessa di Quà sind kunstvoll bemalte Steine und skurile Figuren zu bewundern und in Grauzaria hat sich eine kleine Künstlerkommune niedergelassen. Im Folgenden werden die wichtigsten Beispiele für aktuelle Neuerungen im Tal näher beleuchtet.

Beispiele für eine positive Entwicklung

Insbesondere in den einst verlassenen Bergdörfern sind positive Entwicklungen erkennbar. Hier scheinen die Gründe vor allem eine gewisse Abenteuerlust und die Sehnsucht nach einem beschaulichen Rückzugsort in einer landschaftlich reizvollen Gegend zu sein. Hier wird etwa ein altes Haus in Stavoli oder den Moggessas als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung gesehen, Haus und Garten sukzessive wieder in Ordnung gebracht und die Sommerwochenenden oder die Ferien dort verbracht. So wurde beispielsweis auch Stavoli auf diese Weise wiederbelebt, als drei Freunde bei Angelausflügen in die Umgebung den Ort für sich entdeckten, sich Häuser kauften, renovierten und fortan als Zweitwohnsitz nutzen.

In Stavoli trägt auch der Verein „Amici di Stavoli“ einen großen Beitrag zur Wiederbelebung des Ortes bei. So haben dessen Mitglieder nicht nur eine Vielzahl an historischen Beschilderungen aufgestellt, sie betreiben seit August 2021 zudem einen kleinen Kiosk, bei dem sich Wanderer und Besucher des Ortes stärken. In Mogessa di Là gibt es bereits seit 2019 wieder eine Einkehrmöglichkeit, die von einem engagierten Ehepaar betrieben wird.

Ein weiteres, sehr positives Beispiel ist ein Paar Ende Dreißig, das vor ein paar Jahren nach Grauzaria gezogen ist, eine Ziegenherde hält und hieraus Ziegenkäse herstellt und vertreibt. Die beiden beleben somit traditionelle Werte und eine schon fast verlorene Lebensweise und werden dadurch von den Einheimischen sehr wertgeschätzt.

Auswirkungen der Multilokalität

Der große und tendenziell steigende Anteil an residenziell multilokalen Personen im Val Aupa bringt sowohl positive als auch negative Aspekte mit sich. Im Gesamtzusammenhang sind die Auswirkungen auf die Region eher positiv zu bewerten. Größere Lücken im Dorfgefüge lassen sich durch die zeitweise Anwesenden zwar nur bedingt ersetzen, verhindern jedoch einen noch stärkeren Verfall der Gebäude und Gärten. Das Erscheinungsbild der Dörfer wird somit aufgewertet, wodurch die Attraktivität insgesamt wieder gesteigert wird. Ebenso kommen mit den neuen Bewohnern sowohl neues Kapital als auch neue Impulse in die Region. Für die niedrige Bereitschaft im Engagement für die Allgemeinheit sowie die Pflege von Freiflächen und gemeinschaftlichen Arealen müssen noch Lösungen gefunden werden. Momentan übernehmen in erster Linie noch die älteren Einheimischen diese Aufgaben. Spätestens nach deren Tod werden sich die Dörfer diesen Fragen stellen müssen. Um die Dörfer weiterhin am Leben zu erhalten oder gar neu und nachhaltig zu beleben, wären weitere Zuzüge mit motivierten Multilokalen oder gar dauerhaften Bewohnern wünschenswert. Die heutige Zeit mit ihrer Hektik, Entwurzelung und Umweltproblematik könnte das Leben in einer strukturschwachen, aber äußerst reizvollen Umgebung wieder besonders attraktiv machen. Die Möglichkeiten zum vielseitigen Gestalten, zu einem freieren Leben in einer gesünderen Umgebung sind Schätze, die künftig noch gehoben werden können.

Agritourismus: Kaspar Nickles und Marina Tolazzi

Die Landwirtschaft war für Jahrzehnte die Lebensgrundlage im Val Aupa. Die Wälder wurden im Laufe der Besiedelung gerodet, das Holz wurde als Baustoff und Brennware genutzt. Auf den entstandenen Freiflächen wurden Wiesen zur Herstellung von Heu angelegt, was eine mühsame und schwere Arbeit war. Die Frauen waren für die Ernte und den Transport zuständig, da die Männer im Sommer in der Stadt vornehmlich auf Baustellen Arbeit suchten. Das Heu wurde in großen geflochtenen Körben den Berg hinuntergetragen, getrocknet und an Rindvieh und Schafe verfüttert.
Nur in Senken wie in Dordolla konnte erfolgreich Gemüse angebaut werden. Ansonsten waren die Bewohner von der Weidewirtschaft abhängig. Als die Abwanderungsprozesse einsetzten, kam der Wald bald zurück. Heute findet man im Aupa Tal einen jungen Wald mit vielen Haselnusssträuchern, der nur noch wage an die vergangene landwirtschaftliche Nutzung erinnert.

Heute könnte die Landwirtschaft in einer anderen Form wieder eine wichtige Rolle für die Region spielen. Der sogenannte Agritourismus verbindet das Bauerndasein mit dem Fremdenverkehr. So kommen Gäste mit der Absicht zu einem Hof oder einer Alm, um an dem Lebensstil der Bauern teilzuhaben. Das Prinzip des „Urlaub auf dem Bauernhof“ ist schon seit langer Zeit bekannt und beliebt. Die Unterbringung der Gäste findet auf dem Grundstück der Gastgeber in direkter Nähe der täglichen Tätigkeiten statt. Die Nahrungsmittel, die den Gästen offeriert werden, sind vorwiegend aus dem eigenen Betrieb (Nickles 2021). Gäste haben dadurch also nicht nur die Möglichkeit in einer atemberaubenden Landschaft Urlaub zu machen, sondern genießen qualitativ hochwertige Lebensmittel aus direkter Umgebung. Diese sanfte Form des Tourismus stellt für die Region eine große Impulskraft dar. Der Bergbauer Kaspar Nickles und seine Ehefrau Marina Tolazzi sind ein gutes Beispiel dafür, wie der Agritourismus das Tal verändern kann.

Kaspar Nickles ist wohl einer der bekanntesten Bewohner des Tals, da er durch seine Form des Agritourismus bereits Veränderungen für das Tal erreicht hat. Durch seinen Betrieb kommen mehr Touristen in das Val Aupa und fragen lokale Produkte und Dienstleistungen nach. Sein Bauernhof mit Gastwirtschaft „Tiere Viere“, friualinisch für alte Erde, liegt in Drentus, 10 Minuten fußläufig von Dordolla. Kaspar Nickles hält Krainer Steinschafe, die ursprünglich aus Slowenien stammen und als Milchschafe genutzt werden können. Neben den Milchprodukten werden Lammfleisch und Schafssalami produziert. Um seine Gäste verpflegen zu können, wird zudem Gemüse angebaut, wobei das nur auf wenigen ebenen Flächen möglich ist, wodurch der Ertrag begrenzt ist. Heimische Kulturpflanzen wie Kartoffeln, Mais und Bohnen sind am besten an das lokale Klima und die Böden angepasst. Obst und Honig runden seine Produkte im Betrieb ab. 

Die Arbeit des Bergbauern ist stark von den naturräumlichen Gegebenheiten und den Prozessen der Erbteilung geprägt. So macht es das Relief der Berge kaum möglich Maschinen in der Landwirtschaft einzusetzen. Die Arbeit muss von Hand getätigt werden und die Flächen können oftmals nur zu Fuß erreicht werden.
Kaspar Nickles und seine Familie achtet beim Betrieb auf die ökologische Balance zwischen Menschen und Natur. Der von außen als mühsam erscheinende Lebensstil ist der Versuch im Einklang mit der Umgebung ethisch vertretbar zu leben. Das Ziel ist nicht den meisten Profit aus der Region zu schlagen. Vielmehr wird auf Qualität vor Quantität geachtet, die primär den Gästen im Gasthaus und der Familie zugutekommt.
Die Erhaltung der wenigen Flächen der Kulturlandschaft ist ebenfalls ein Anliegen des Bergbauern. Aufgrund der fehlenden Pflege von Wiesen verwildern und verholzen Bereiche, sodass eine erneute Nutzung extremen Arbeitsaufwand bedeuten würde. Heute pflegt er ca. sieben Hektar Wiesen zur Heuwirtschaft. Die Flächen sind jedoch nicht zusammenhängend, sondern in mehrere kleine Parzellen unterteilt, was auf die Erbteilung und die naturräumlichen Gegebenheiten zurückzuführen ist.

Ein wichtiger Bestandteil des Angebots von Kaspar Nickles ist die Tätigkeit als Fremdenführer. Er zeigt Gästen seines Hauses und Touristen im Tal auf Anfrage die Gegend. Eine Wanderung wird gerne mit einem Besuch auf einer Alm oder dem eigenen Hause abgeschlossen. Die lokal produzierten Lebensmittel sind ein Highlight und Qualitätsmerkmal für die Besucherinnen der Region.

Kaspar Nickles zeigt bei seinen Führungen die Möglichkeiten der Nutzung auf und informiert über die Geschichte des Tals. Die Bewohner der Dörfer erleben durch die Besuche der Gäste, dass das Gebiet für den Tourismus interessant ist und dass durch sie eine neue Einnahmequelle generiert werden kann.

 

Nachhaltige Impulse für die Zukunft

Für die Region wäre es wünschenswert, wenn weitere engagierte zeitweise oder sogar dauerhafte Bewohner hinzukämen. Da eine intakte Dorfgemeinschaft eine wichtige Voraussetzung für ein Funktionieren des großen Ganzen ist, müssten hierzu wieder jüngere Menschen nachkommen, die das Alte mit neuen Ideen weiterführen. Da in den nächsten Jahren viele der tatkräftigen älteren Bewohner wegfallen werden, ist dies essentiell. Gerade viele der älteren Bewohner der Dörfer blickten mit großem Bedauern auf den großen Wandel ihrer Heimat. Viele von ihnen hatten in ihrer Kindheit noch ein sehr lebendiges Dorfleben im Val Aupa miterlebt. Im Laufe der Jahre wurde es in den Dörfern immer einsamer, und es blieben hauptsächlich ältere Menschen dort. Einige von ihnen teilten uns mit, dass sie sich um ihr Dorf Sorgen machen würden. Gerade der relativ starke Kontrast zu Früher machte den Großteil von ihnen eher ratlos und auch traurig. Die wenigen aber dennoch vorhandenen jüngeren Bewohner sehen die Situation in der Regel um einiges positiver. Allerdings haben diese auch den Unterschied nicht miterlebt. Generell äußerten zudem erstaunlich viele Bewohner der Dörfer, dass sie die Ruhe sehr schätzen würden und gar nicht allzu viel verändern wollten.

Es gilt abzuwägen, wie das Val Aupa am besten längerfristig vitalisiert werden kann, ohne in den Gegenpol der Gentrifizierung abzurutschen. In vielen Regionen der Westalpen wurde zwar sehr vieles erneuert, zum Teil aber auf Kosten der Authentizität. Letztlich fällt dort vieles der Spekulation und dem Overtourismus zum Opfer und wird eher ausgeschlachtet und mit modernen Events überfrachtet. So gleichen dort viele ehemals intakte Dörfer nun reinen Tourismushochburgen mit einer Art Showbühne für eine alpine Lebensweise. Damit wäre dann das komplette Gegenteil erreicht, das wohl ebenso wenig erstrebenswert sein kann.

Das Problem der Realteilung als Hemmnis

Ein größeres Problem, das häufig für den Leerstand und das Verfallen vieler Häuser und Grundstücke im Val Aupa ursächlich ist, ist die Realteilung. Im Friaul kommt es häufig vor, dass ein Haus mehrere Eigentümer besitzt. Durch die Realteilung, die nach italienischem Gesetz vorsieht, dass Haus und Grundstück nach dem Tod des Eigentümers auf alle Kinder gleichermaßen aufgeteilt werden, wurden die nutzbaren Flächen über mehrere Generationen immer kleiner. Oft werden einzelne Teilflächen der Häuser und Grundstücke auf die verschiedenen Erben aufgeteilt. Manche Einwohner berichteten uns von Häusern mit mehr als 40 Eigentümern. Viele der Häuser verfallen mit der Zeit, da durch die Erbteilung zu viele Eigentümer entstanden sind, welche sich entweder aus Kostengründen oder wegen fehlendem Interesse nicht mehr darum kümmern. Die Überschreibung des Besitzes an andere Personen ist eine teure und mühsame Angelegenheit und ist nur möglich, wenn alle aktuellen Besitzer damit einverstanden sind.

Aufgrund des zumeist fehlenden Kontakts unter den Eigentümern ist es oft gar nicht möglich das Einverständnis aller einzuholen, selbst wenn diese eigentlich zustimmen würden. Leider kommt es auch immer wieder dazu, dass manche Eigentümer ihren Anteil am Erbe, aufgrund familiärer Spannungen, nicht abgeben wollen. Andere wollen dies hingegen nur gegen teure Ablösesummen machen. Für viele Familien ist die Realteilung ein Thema mit großem Konfliktpotential, was zusätzlich dazu führt, dass man sich gar nicht erst um eine Lösung bemüht. Es fehlt eine politische Regelung zur Lösung dieses Problems. Eine Gesetzesänderung könnte helfen die komplizierte Überschreibung von Häusern und Grundstücken zu vereinfachen und so dazu beitragen, dass wieder mehr Häuser genutzt werden können. Eine andere Möglichkeit zur Aneignung von Eigentum besteht durch das sogenannte usucapione. Laut diesem Gesetz kann jemand auch ohne vertragliche Vereinbarung zum Eigentümer eines Grundstücks oder einer Immobilie werden, wenn sich dieser mindestens 20 Jahre effektiv darum gekümmert hat. Die Regelung gilt allerdings nur, wenn die Inaktivität des Eigentümers über die Dauer von 20 Jahren tatsächlich nachgewiesen werden kann. Oft scheitert die Übergabe mangels solcher Belege.

Schlussfolgerung

Beim Betrachten der Gesamtsituation scheinen die Veränderungen eher leise Anzeichen für eine mögliche langfriste Trendumkehr zu sein. Allerdings könnte vor allem aufgrund der zunehmend angespannten Situation in den großen Städten in der Tat eine größere Veränderung im ländlichen Raum in naher Zukunft eintreten. Durch eine immer komplexere Gesellschaft, einen relativ starken Verdrängungswettbewerb um guten Wohnraum in den Ballungsgebieten und den dort vorhandenen Umwelt- und Lärmbelastungen ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis eine Gegenentwicklung zum aktuellen Zeitgeist stattfinden wird. Aktuell mögen es noch eher Aussteiger oder Menschen mit lokalen Wurzeln sein, die das Val Aupa neu besiedeln. Langfristig könnten mehr Personen von außerhalb hinzukommen.

Trotz der Neuerungen und Bemühungen einzelner Akteure, die Orte des Val Aupa vital und lebenswert zu gestalten, sieht sich die Gegend mit teils unüberwindbaren Hindernissen konfrontiert. Es bleibt abzuwarten, wie die Entwicklung in den nächsten Jahren weitergeht. Die relativ gute Erreichbarkeit des Val Aupa macht Hoffnung auf ein stärkeres Entdecken und Nutzen dieser Gegend durch Personen von außerhalb. Sollten bestimmte Tendenzen in Politik und Gesellschaft weiter zunehmen, so könnte ein einigermaßen autarkes Leben auf dem Land wieder größeren Aufschwung erfahren. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Gegend in diesem Fall ihre Authentizität bewahren kann. Noch ist jedoch der Verfall und die Nichtnutzung das größte Problem.